Geschichten

Ferkels kosmische Wurzeln

Immer diese Finger-Frage! Unglücklich schaute Ferkel auf seine Pfoten. „Du hast keine Daumen! Du hast keine Finger! Bla bla bla“, äffte Ferkel in Gedanken die beiden Mädels nach. Dabei wollte es soooo gern einen Komputah wie die anderen beiden auch. Ferkel wollte nämlich Wissenschaftler werden, hatte es sich überlegt. Und dafür braucht man schließlich was zum Tippen!

Außerdem experimentierte Ferkel sehr gern und mit großem, sogar sichtbaren Erfolg, so wie gestern in der Küche: Mehl ist so leicht, dass es fliegt, wenn man reinpustet! Judith und Susanne waren immer sehr begeistert von den Ergebnissen, konnten das aber nicht so recht in Worte fassen, wie Ferkel fand. Das wirkte immer wie Aufregen, wenn sie kommentierten, was Ferkel so herausgefunden hatte. Reiner Neid!

Ferkel setzte sich auf seinen rosa Hintern und betrachtete seine Vorderpfoten genauer. Sie waren rosa, ganz so wie der ganze Ferkelrest, natürlich. Überall waren kleine feine Borsten dran – durchsichtig, wie Ferkel nach akribischen Untersuchungen festgestellt hatte, aber durchaus pieksig, wenn man sie im richtigen Winkel an menschlicher Haut entlanggleiten ließ, wie Judith neulich festgestellt hatte. Unten dran waren zwei so ’ne Art Zehennägel, nur dicker als bei den Mädels. Sie sahen so ein bisschen aus wie Hufe – vornedran hart und glatt, untendran etwas rauer. Darauf lief Ferkel. Wenn es die Pfote hochhielt, waren beide Zehennägel eng zusammen. Wenn es die Pfote auf dem Boden aufdrückte, gingen beide Teile etwas auseinander.

So, wie Ferkel das verstanden hatte, waren es wirklich die Spitzen von Zehen, die anders als beim Menschen nicht einfach auf dem Boden liegen, sondern hoch zum Körper gingen. Warum das nur zwei waren, hatte Ferkel auch schon mal gehört: Es waren jeweils zwei Finger oder vielmehr Zehen, die zusammengewachsen waren. Leider waren sie dadurch etwas zu dick, um die gewünschten Tasten- und zwar NUR die – auf einer Tastatur zu treffen. Dass das wichtig war, hatte Ferkel inzwischen eingesehen: „DFrcew3trkjerdlk“ konnte kein Schwein lesen. Außer, man wusste, dass es „Ferkel“ heißen sollte, und selbst dann wurde es schwierig. Sagte jedenfalls Judith. Und die musste es wissen, die war schließlich Redktöse oder wie das hieß. Aber warum waren die Zehen bloß zusammengewachsen? Das war eine handfeste Behinderung, fand Ferkel. Auch wenn die Ferkelpfoten schon sehr hübsch waren. Menno.

Eigentlich war es ja ganz zufrieden mit ihnen. Es konnte darauf laufen, hüpfen, auf dem Parkett im Flur schlindern – Kratzspuren machte das gar nicht, die Pfoten waren noch heil – und Papier auf dem Boden festhalten, wenn das Zerwühlen etwas schwieriger war. Außerdem fand Ferkel, dass seine Fußhaltung sehr elegant war – nicht so platt wie die der Menschen. Und entgegen Judiths und Susannes dauernden Behauptungen hatte Ferkel WOHL einen Daumen – er war allerdings zugegebenermaßen etwas unbeweglich und darüber hinaus ein bisschen ungünstig angebracht. Der hing so auf Halbmast – da, wo bei Menschen das Handgelenk war. Und ungefähr genauso gut eignete der sich zum Greifen. Oder zum Zwischenräume beim Schreiben machen. Ferkel seufzte.

Susanne hatte mal erklärt, dass Schweine Zehenspitzenläufer seien (sie hatte sich dabei gewundert, dass Ferkel trotzdem so einen Krach beim Laufen macht). Irgendwie klang das schön. Zehenspitzenläufer … Ferkel geriet ins Träumen. Vielleicht sollte es doch über eine Karriere beim Ballett nachdenken. Das mit den Zehenspitzen hatte es schließlich schon drauf, und das bisschen Tanzen sollte auch kein Problem sein… Ferkel wiegte sich versonnen im Takt einer Melodie, die es sich spontan ausdachte – und hielt dann plötzlich inne. „Ich will Wissenschaftler werden und nichts soll mich davon abhalten!“, dachte es entschlossen. Außerdem musste man dafür nicht irgendwelchen Diät-Quatsch machen. Wenn nur dieses Tipp-Problem nicht wäre … So ein bisschen Angst bekam Ferkel jetzt doch, dass das mit dem Nobelpreis und so vielleicht doch nicht klappen würde.

Betrübt trottete Ferkel ins Wohnzimmer. Judith und Susanne saßen da eng aneinandergekuschelt und guckten irgend so einen Blödsinn mit Raumschiffen und Menschen in komischen Anzügen, die auf Sesseln saßen und Bildschirme anguckten und – Ferkel kriegte noch schlechtere Laune – auf Tastaturen rumtippten. Einer hatte ganz spitze Ohren, guckte ganz besonders wichtig und erzählte wissenschaftliches Zeug. Ferkel verstand kein Wort, fand das aber nicht schlimm: War ganz sicher ein anderes Fachgebiet. Schlimm war vielmehr, dass alle Karriere machten, nur Ferkel nicht. Nur wegen zusammengewachsener Zehen. Missgelaunt sprang es aufs Sofa, kletterte über Judiths Schoß und drängte sich rücksichtslos zwischen die beiden. Ferkel hatte jetzt Trost nötig. Dringend. Den Kopf legte es auf die Pfoten – als Unterlage waren sie ja immerhin geeignet -, schloss die Augen und ließ sich kraulen. ­­

Mit einem halben zurückgeklappten Schlappohr lauschte es auf Wortfetzen aus dem Film. Die erzählten irgendwas von Käptens und Entenpreis und Erde und Angriff. Außerdem schnappte es Wörter wie Berechnung, Bedrohung und Wissenschaftsoffizier auf. Auch ein interessanter Beruf, dachte Ferkel. Ob es das schon gab? Schweine im Weltall? Aber auch dafür musste man vermutlich tippen können. Hmpf. Genervt schnaubte Ferkel vor sich hin. Trotzdem öffnete es ein Auge und folgte der Handlung. Was es allerdings hasste, waren die Großaufnahmen von Händen, die über Tastaturen huschten und mit simplen Tastendrucken das Schiff retteten. Warum bitte mussten die Mädels in so einer Situation – Ferkel in Existenzangst – unbedingt so etwas schauen? Ferkel fand das extrem rücksichtslos.

Gerade, als es die beiden empört anschauen wollte, kam der Wissenschaftsdings wieder ins Bild. Er sagte irgendwas von Vulkan, verabschiedete sich von irgendwem und erzählte was von langem Leben und so – aber viel wichtiger fand Ferkel die Hand von ihm: Als er so komisch winkte, sah man, dass auch seine Finger zusammengewachsen waren – wie ein V. Ferkel sprang auf und quiekte begeistert. Und der war sogar ganz wichtig da auf den Raumschiff! Die Leute da im Film sagten, er sei Vulkanier. Und bei näherem Hinsehen bemerkte Ferkel, dass tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Typen da bestand. Neben seiner Pfote fielen Ferkel auch die spitzen Ohren auf – Ferkel schielte auf seine eigenen, die eher schlapp als spitz waren, aber egal – und die gewählte Ausdrucksweise, die Ferkel auch von sich kannte. „Hrchchcrorch!“, äußerte es begeistert. Ferkel war bestimmt auch Vulkanier! Karriere ist also doch möglich – der hat bestimmt eine spezielle Tastatur! Und wenn es sowas schon gab, können die Mädels die doch bestimmt bestellen! Ohhhhhhh! Dann könnte Ferkel auch endlich schreiben lernen.

Das Schweinekind fühlte sich plötzlich so leicht und glücklich und hopste begeistert auf dem Sofa rum, so dass die Mädels erschreckt guckten. Und ein winziges kleines bisschen nass, weil Ferkel genau in dem Moment aufgesprungen war, als Susanne ihr volles Glas in der Hand hatte. Das war jetzt leer, aber egal. Oh, Ferkel war schon in der Schwerelosigkeit! Der Boden gewann zunehmends an Abstand. Vergnügt quietschte es: Endlich ging es los mit Karriere! Dann aber merkte es, dass Judith es gerade unter den Arm geklemmt hatte und in die Küche verfrachtete. Ein bisschen grob vielleicht… aber viele Wissenschaftler waren am Anfang ihrer Karriere missverstanden worden. Ferkel dachte da an so einen Typ mit Sternen und so. Galolilelo hieß der. Hatte Ferkel gehört.

Hach ja… Ferkel registrierte, dass Judith es in seine Kiste setzte, ein paar seiner normalerweise geliebten alten Zeitungen (welch profaner, trivialer Tratsch!) dazulegte und die Tür schloss. Ach, egal. Zufrieden und aufgeregt blickte das kleine Schwein auf seine V-Pfoten. Offenbar war die Forscherkarriere für heute erstmal ins Stocken geraten, aber das machte nichts. Ferkel summte die Musik aus dem Fernseher vor sich hin. Morgen, morgen würde Ferkel zu unendlichem Wissen vorstoßen. „Wir schreiben das Jahr 2012, und das sind die Forschungen von Ferkel“, dachte es. „Wissen, das noch nie ein Ferkel zuvor gewusst hat …“

 

 

 

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